Barrierefreiheit – eine Pflicht als Chance

Maja Cerning

Maja Cerning

Usability-Consultant

  • 12.03.2025
  • Lesezeit 4 Minuten
Barrierefreiheit

Ab dem 28. Juni 2025 tritt in Deutschland das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz: BFSG)in Kraft. Das Ziel: alle Menschen, unabhängig von ihren individuellen Einschränkungen, sollen selbstbestimmt und ohne fremde Hilfe am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

Wie Verbraucher:innen und Unternehmen von mehr Barrierefreiheit profitieren

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) setzt die europäische Richtlinie zur Barrierefreiheit auf nationaler Ebene um und definiert klare Anforderungen an die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen privatwirtschaftlicher Unternehmen. Die Richtlinien und Anforderungen zur Einhaltung bzw. Gewährleistung von Barrierefreiheit finden sich in der EN 301 549 und dem weltweit gültigen Standard für barrierefreies Webdesign (Web Content Accessibility Guideline, WCAG).

Das Spektrum der betroffenen Anwendungen und Dienstleistungen ist breit gefächert und reicht vom gesamten Online-Handel über Hardware und Software bis zum überregionalen Personenverkehr und Bankdienstleistungen. Neben Hardwareprodukten betrifft das Gesetz eine Vielzahl digitaler Dienstleistungen und Produkte, die für Verbraucher:innen zugänglich sein müssen, darunter:

  • Telekommunikationsdienste
  • Bestandteile von Personenbeförderungsdiensten, darunter Webseiten, Apps, elektronische Tickets und Ticketdienste, Bereitstellung von Verkehrsinformationen sowie interaktive Selbstbedienungsterminals
  • Bankdienstleistungen für Verbraucher
  • E-Books und die dafür vorgesehene Software
  • Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr

Was bedeutet das konkret für Kunden und den digitalen Geschäftsverkehr?

Egal, ob Webseiten, Apps, Medien oder digitale Dokumente: alle digitalen Kundenkontaktpunkte, die über eine Dienstleistung oder Produkt informieren und auf einen Kauf oder Vertragsabschluss hinführen, müssen barrierefrei im Sinne des BFSG gestaltet sein. Vom Gesetz ausgenommen sind Kleinunternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz oder einer Bilanzsumme von maximal 2 Millionen Euro.

Unternehmen, die jetzt handeln, sichern sich nicht nur rechtliche Konformität, sondern erschließen neue Märkte und steigern ihre Wettbewerbsfähigkeit.

  • Größere Zielgruppenreichweite: 10 % der Bevölkerung in Deutschland lebt mit einer Behinderung, und eine alternde Gesellschaft erhöht die Nachfrage nach barrierefreien Angeboten
  • Bessere Nutzererfahrung für alle: Einfache Bedienbarkeit und eindeutige Navigation erhöhen Kundenzufriedenheit und Conversion-Rate
  • SEO-Optimierung: barrierefreie Webseiten werden von Suchmaschinen besser gerankt.
  • Image- und Marken Booster durch gesellschaftliche Verantwortung und Steigerung von Vertrauen bei Kunden

Wer ist betroffen – Chancen nutzen?

Barrierefreiheit betrifft uns alle – nicht nur Unternehmen, sondern Millionen Menschen, denen eine digitale und daher gesellschaftliche Teilhabe verwehrt bleibt. Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) sorgt seit 2002 dafür, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können und verpflichtet seit 2018 öffentliche Stellen des Bundes, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten.

Knapp 10 % der Menschen in Deutschland haben eine Schwerbehinderung, 30 % haben Einschränkungen beim Seh- oder Hörvermögen, in der Motorik oder Kognition (Tendenz steigend bei immer älter werdender Bevölkerung). Alle Menschen haben ein Recht auf Teilhabe, Nichtdiskriminierung, Chancengleichheit, Selbstbestimmung und Inklusion nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Bereich.

Das BFSG ist somit eine Chance für alle, sowohl für Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen oder temporär eingeschränkte Nutzer:innen als auch für Unternehmen, ihre Reichweite zu vergrößern und ein klares Zeichen für Inklusion, Innovation und Zukunftssicherheit zu setzen.

Der Countdown läuft – was genau jetzt zu tun ist!

Die Umsetzung und nachhaltige Sicherstellung der Barrierefreiheit sind eine strategische Aufgabe und erfordert unternehmensweite Anpassungen, wie das von Budgets und Prozessen, Definitionen neuer Rollen und Qualifikationen sowie dauerhafter Wissensaufbau zu den Anforderungen und Regularien der WCAG & EN 301 549.

  1. Welche Systeme und Produkte sind betroffen? Identifizieren Sie in Zusammenarbeit mit Ihrer Rechtsabteilung relevante Bereiche und definieren Sie, welche Produkte und Dienstleistungen betroffen sind.
  2. Detaillierte Analyse und Audit. Alle identifizierten Produkte und Dienstleistungen müssen im Detail auf Barrierefreiheit und entstehenden Handlungsbedarf geprüft werden. Die Prüfung erfolgt durch automatisierte Tests (welche nur ca. 30 % des Handlungsbedarfes aufdecken) in Kombination mit manuellen Tests und wird von Expert:innen durchgeführt und mit Handlungsempfehlungen dokumentiert. Auf Basis dieser Ergebnisse können Planungen für Kosten, Zeit und Kapazitäten vorgenommen werden.
  3. Umsetzung frühzeitig einplanen. Die Umsetzung muss nicht kompliziert sein – mit einer klaren Strategie, Expertenwissen und den richtigen Tools können Unternehmen Barrierefreiheit effizient und nachhaltig umsetzen. Beginnen Sie daher frühzeitig, um Zeiten für Rückfragen, Lernkurven und besondere Komplexitäten einzuplanen. So schaffen Sie es, Ihre digitalen Angebote rechtzeitig zum Inkrafttreten der Gesetzgebung ausreichend barrierefrei zu gestalten.
  4. Nachhaltige Barrierefreiheit. Barrierefreiheit ist kein Projekt, sondern ein Prozess, der sich verändernder Regularien und Auslegungen anpassen muss. Durch Schulungen lassen sich Designer, Redakteure und Programmierer technisch und inhaltlich befähigen, um eine nachhaltige Barrierefreiheit im Unternehmen sicherstellen zu können.

Benötigen Sie Unterstützung? Lassen Sie uns gemeinsam Ihre digitale Zukunft inklusiv und erfolgreich gestalten. Wir beraten Sie zu allen Fragen rund um das Thema Barrierefreiheit und die regulatorischen Anforderungen und bieten Audits und Schulungen für nachhaltige Barrierefreiheit an.

Verfasst von

Maja Cerning

Usability-Consultant

Profil ansehen
Artikel teilen: