Wer sich versichern oder einen Kredit bei der Bank beantragen möchte, interessiert sich vor allem für den Preis. Verbraucher achten in erster Linie darauf, was etwas kostet. Wie hoch die Zinsen oder die Prämien ausfallen, ist deshalb auch für die Anbieter wichtig, um mit dem Wettbewerb mithalten zu können. Doch die Modelle, nach denen die Finanzbranche berechnet, wie hoch der Preis für einen Kredit oder eine Versicherung sein muss, könnten künftig vom EU AI Act betroffen sein. Grund dafür sind Vorschriften, die beispielsweise verhindern sollen, dass jemand diskriminiert wird. Daher müssen die Anbieter zukünftig noch genauer darlegen, wie und auf welcher Datengrundlage sie zu einer Entscheidung gelangt sind.
„Kreditwürdigkeitsprüfungen unterliegen der Risikoklasse hoch“, erklärt Jan Eßer, Managing Consulting bei PPI und Experte für Risiko-Controlling. „Dies entspricht der höchsten noch erlaubten Risikoklasse für KI. Sie erfasst jedoch auch die logistischen Regressionsmodelle. Hinter dem komplizierten Ausdruck stecken statistische Modelle, die von wenigen Variablen abhängen und prognostizieren, wie hoch das Risiko ausfällt, das die Bank mit einem Kunden eingeht. Laut der EU fällt dieses Vorgehen bereits unter die Definition von KI.“
Die beiden entscheidenden Kennzahlen in diesen Kreditrisiko-Modellen heißen PD und LGD. Sie zeigen an, wie wahrscheinlich es ist, dass ein beantragter Kredit ausfällt (Probability of Default) und wie hoch der finanzielle Schaden wäre (Loss given Default). Von diesen Werten hängt ab, ob ein Kredit gewährt wird und zu welchen Konditionen. Wie genau die Anbieter zu ihren Ergebnissen kommen, müssen sie künftig noch genauer belegen. Dazu zählt auch, dass die verwendeten Daten repräsentativ sein müssen, um eine mögliche Verzerrung („Bias“) zu vermeiden. „Auf bestehende Modelle sollen dieselben Kriterien angewendet werden wie für Systeme, die hochkomplexe KI einsetzen, wie beispielsweise Neuronale Netze“, fasst Eßer die neue Herausforderung zusammen.
Ironischerweise könnten diese neuen Regeln Banken dazu treiben, mehr auf KI zu setzen. Denn der zusätzliche Aufwand, um die eingesetzten Risikomodelle und deren Datengrundlage stetig zu pflegen, analysieren, testen, optimieren und all das zu dokumentieren, dürfte sich kaum durch mehr Personal auffangen lassen. Dafür ist der Kostendruck innerhalb der Branche zu hoch. Eine KI jedoch, die vorab festgelegten Regeln folgt, und nicht unmittelbar in Kreditwürdigkeitsprüfungen oder im Underwriting einer Versicherung eingesetzt wird, dürfte helfen, diese zusätzlichen Fleißaufgaben zu automatisieren. „Banken sollten KI überall dort einsetzen, wo die Maschine begleitende Arbeiten erledigen kann, ohne in die kritischen IT-Anwendungen eingebunden zu sein“, so der PPI-Experte.
Eßer empfiehlt jedoch, KI auch als Gegenmodell zu den produktiven Risikomodellen einzusetzen. Zwar werden die Ergebnisse vorerst nicht direkt verwendet, um tatsächlich eine Kreditentscheidung herbeizuführen. Doch sie eignen sich, um bestehende Modelle zu verbessern, zu testen und die geforderten Analysen zu unterstützen. „KI-Challenger-Modelle haben sich bewährt, um aus der Not eine Tugend zu machen“, erklärt der Informatiker. „Banken verschaffen sich durch die KI zusätzlichen Ressourcen, um regulatorische Anforderungen ohne zusätzliches Personal umzusetzen und gleichzeitig ihre Risikomodelle zu unterstützen.“